Sektion 4

Zurück zur Sektionsübersicht

Komik am Rande – am Rande der Komik: Zur Poetik der Nebenfigur in der Komödie

39. Romanistiktag Universität Konstanz | 22.–25. September 2025

Sektionsleitung und Kontakt
Judith Frömmer (Universität Wien)
Kurt Hahn (Universität Graz)

Das Komische operiert gerne im Marginalen. Es wendet sich oft dem scheinbar Nebensächlichen, dem ‚Gemeinen‘ und ‚Interesselosen‘ zu. Doch stellt es bei aller vordergründigen Harmlosigkeit ein Kipp- und beinahe immer Grenzphänomen dar, dessen entlastende Wirkung nicht selten auf einen dunklen, verdrängten, potenziell gewaltsamen oder gar tragischen Untergrund der Komik verweist. Das betrifft die historischen Positionierungen von Komik und Komödie ebenso wie seine Verfahren und deren Systematisierungen. Die Nobilitierung der Komödie, um die es in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts beispielsweise einem Molière zu tun war, mag auf den ersten Blick die Zentrierung von Gattung und komischem Wirkmechanismus als Alternativen zum Tragischen und Epischen im Sinn haben. Aber eben nur auf den ersten Blick, wohingegen der zweite schon deutlicher signalisiert, dass das Komische die Ränder aufsucht und um seiner Effizienz willen auch aufsuchen muss. Just diese Ränder berühren jedoch nahezu immer das dysphorische, ausgrenzende, traurige, ja mitunter brutale Jenseits der Komik. Der (Bühnen-)Tod und das Begräbnis Molières könnten in dieser Hinsicht paradigmatisch für die Abseitigkeit komischer Inszenierungen, für die Abgründe der Komik stehen. 

In unserer Sektion laden wir ein, genau diesen Randerscheinungen der Komik anhand unterschiedlicher Konfigurationen und näherhin am Beispiel der Nebenfiguren in der Komödie nachzugehen. Ausgehend von der Tradition der commedia dell’arte wollen wir uns zunächst auf genuin komische Subgattungen im Theater und im Film beschränken, erhoffen uns gleichwohl von der Auseinandersetzung mit einer Poetik der Nebenfigur in der Komödie nicht nur Beiträge zum dicht bestellten Forschungsfeld der Ästhetik und Theorie des Komischen, sondern auch Einsichten zu Konzeption und Funktion jener (Neben-)Figuren im Off der Haupthandlungen. Denn obschon Handlungsgefüge und Konfliktstrukturen in unbestrittener Weise von Dienstboten und -mägden, von Nebenbuhler:innen oder McGuffins abhängen, führen diese nicht nur in literarischen Texten, in Filmen und in anderen kulturellen Artefakten, sondern auch in der literaturwissenschaftlichen Forschung und Theoriebildung der Romanistik eher ein Schattendasein. Mithin könnte sich die Sektionsarbeit beispielsweise folgenden Themenkomplexen und Erkenntnishorizonten widmen: 

Handlungs- und Redeanteile
Während die klassische Charakterkomödie, aber beispielsweise auch die Screwball Comedy tatsächlich noch eine oder zwei Protagonisten – seltener eine Protagonistin – fokussiert und dessen/deren Abweichungen und Starrheiten, Unvernünftigkeiten und Ticks sowie die dadurch entstehenden Gegensätze ausstellt bzw. sanktioniert (H. Bergson), kennt das komische Fach seit jeher auch das Spiel mit dem vermeintlich Nebensächlichen; von und mit jenen, die gemessen an der sogenannten Haupthandlung (die in Wahrheit oftmals selbst eine „anderweitige Handlung“ [E. von Hartmann] ist) scheinbar nicht viel zu sagen haben, dafür umso mehr auf der Bühne ausagieren: sei es in verbaler Digression oder non-verbaler Artistik, sei es in exuberanter Theatralität oder in aristotelisch und klassizistisch freilich zensierten Nebenhandlungen bzw. Nebenverwicklungen. Um in dieser Hinsicht möglichst präzise Handlungs- und Redeanteile zu erfassen und in einen Vergleichszusammenhang einzurücken, böte sich – gemäß dem Rahmenthema des Romanistiktages – an, die Potenziale digitaler bzw. quantitativer Analysetools fruchtbar zu machen; darüber hinaus wäre selbstverständlich nach den spezifischen, sich wandelnden Medien zu fragen, die die untersuchte ‚Komik am Rande‘ technologisch, semiotisch und ästhetisch bedingen.

Figurenkonzeption
Der dramatischen Sehnsucht nach tiefenmotivierten round characters ist bekanntlich ebenfalls eine historische Signatur eingeschrieben. Je nach Perspektivierung (sozial-, kultur-, literatur- oder theatergeschichtlich) mag man sie mit aufklärerisch-mündiger Emanzipation oder bürgerlicher Ausdifferenzierung eines starken Subjekts, mit den Seelenschauen im Zeichen romantischer Innerlichkeit oder mit modernen Psychogrammen bzw. Psychopathologien in Verbindung bringen. Das Komische und mit ihm zahlreiche Spielarten der Komödie nehmen hingegen von vornherein Abstand von Tiefgängen im Privaten und Höhenflügen politischer Signifikanz, von unbedingter Individualisierung und Generalisierbarkeit einzigartig exemplarischer Lebensgeschichten. Das generiert im Übrigen weder ein notorisch subversives oder dekonstruktives Potential des Komischen noch führt es zwangsläufig zu depersonalisierender Typisierung und unweigerlicher Statik der Figuren in der Komödie. Sehr wohl aber sensibilisiert es für das, was nicht immer schon den Anspruch erhebt, die Substanz einer ganzen Persönlichkeit, die syntagmatische Ereignishaftigkeit einer vollständigen biographischen Entwicklung oder die Haupt- und Staatsaktionen einst illustrer und sodann fallender Held:innen zu garantieren. Die diesbezügliche Schärfung des (Seiten-)Blicks eröffnet erhellende Ansichten auf komische Schau-Spiele und Filmwelten, die nicht etwa Protagonist:innen ‚wie Du & Ich‘ modellieren, sondern sich wie die commedia dell´arte oder die Slapstick-Komödie auf die lustvollen lazzi und Macken generischer Nebenfiguren konzentrieren.

Gattungspoetiken
Eine Poetik der Nebenfigur in der Komödie könnte überdies neues Licht auf die Austreibung figuraler Zentren im absurden wie im postdramatischen Theater werfen, im traditionellen wie im experimentell-avantgardistischen Puppen- und Marionettentheater, aber auch im klassischen, modernen, nach- oder postmodernen Film oder der Serie. Und sie offenbart allererst das oftmals verkannte und dabei semantisch so explosive Potential kanonischer Nebenfiguren in der Geschichte der Komödie (sei es im Theater oder im Film) im romanischen Raum: von vermeintlichen unscheinbaren Parallelrollen auf Bediensteten- oder Helfer:innenebene bis zur grandiosen Situations- und Sprachkomik berühmter gracioso-Gestalten oder der konterkomischen Vernunftmaskerade einschlägiger raisonneur-Figuren.

Mögliche Fragestellungen, die sich angesichts solch einer ‚Komik am Rande‘ auftun, könnten sein:

  • Wie werden Nebenfiguren in der Komödie zu Träger:innen von Komik und wie verhält sich die von ihnen verkörperte ‚Komik am Rande‘ zur Haupthandlung der Komödie?
  • Welche qualitativen und quantitativen Aspekte machen eine komische Nebenfigur überhaupt zur Nebenfigur? 
  • Welche medienwissenschaftlichen und -theoretischen Differenzierungen erfordert die Analyse einer ‚Komik am Rande‘?
  • Welche Rolle können digitale Methoden der Textanalyse und des distant reading für die systematische Erfassung, Beschreibung und Ausdifferenzierung einer Poetik der Nebenfigur spielen? 
  • Inwiefern kann sich gerade an den Rändern der Komödie ihr ernstes oder gar tragisches Anderes artikulieren? Inwiefern wird die ‚Komik der Handlung‘ dadurch (de)stabilisiert?
  • Inwiefern lässt die Zuweisung von Haupt- und Nebenrollen im Zusammenhang mit spezifischen Gattungsfragen Rückschlüsse auf gesellschaftliche Prozesse der Normierung und Marginalisierung zu? 
  • Welche Konzeptionen von Subjektivität und Handlungsmacht verbinden sich mit spezifischen (Sub-)Gattungspoetiken der Nebenfigur?

Geplanter Ablauf der Sektion 
Die Sektion soll sich in ca. 5 thematische Panels à 2-3 Vorträge + 1 Sammel-Response des jeweiligen Chair gliedern. Um die Response und die Diskussion vorzubereiten, sollen die Vortragsmanuskripte bereits ca. 1 Woche vor dem Romanistiktag vorliegen und an die Sektionsteilnehmer:innen verschickt werden. Die Arbeitssprache der Sektion ist deutsch, es sind aber auch Beiträge in französischer, italienischer, spanischer und englischer Sprache möglich.