RomLab 2

Zurück zur RomLab-Übersicht

Living Lakes, Changing Rivers, Artistic Research: Konstante Ströme und Wasser-Wandlungen am Bodensee

39. Romanistiktag Universität Konstanz | 22.–25. September 2025

RomLab-Leitung und Kontakt
Gesine Brede (Goethe-Universität Frankfurt am Main)
Berit Callsen (Universität Osnabrück)

Unter dem Themenfokus „Wasser-Wandlungen“ nimmt sich das Lab vor, der transformativen Kraft von Wasser nachzugehen und zugleich Einflussfaktoren für sich verändernde Wasserlandschaften in den Blick zu nehmen. Dabei werden dynamische Wasser-Mensch-Beziehungen ebenso relevant wie hydrologische Besonderheiten und Auswirkungen des Klimawandels wie z. B. Hochwasser, Austrocknung und Verschmutzung. Der Ausrichtungsort des Romanistiktages in direkter Nähe zu Rhein und Bodensee erlaubt unmittelbare Begegnungen mit (Grenz-)Gewässern, die unter Einbezug von soziohistorischen Aspekten des Lebens am und mit dem Wasser in wissenschaftlichen Diskursen und künstlerischen Praktiken reflektiert werden sollen.

Das Lab wird theoretische Überlegungen zur Materialität und Transformativität des Wassers, wie sie derzeit im Zuge der „liquid ecologies“ (Blackmore/Gómez 2020: 2) in den Blue Humanities und im Material Ecocriticism entwickelt werden, im Sinne einer ‚artistic research‘ mit Interventionen einer Künstlerin in Dialog setzen. Dabei sollen künstlerisch-mediale Praktiken neue, sinnlich erfahrbare Perspektiven auf Phänomene wie aquatische Narrativität und Agency generieren, die Einsichten in wandelbare Wasser-Mensch-Beziehungen erlauben bzw. vertiefen. Auf diese Weise werden Formen eines „Denkens mit Wasser“ („thinking with water“, Oppermann 2023: 1) angeregt, das aufmerksam wird für aquatische Bedeutungsproduktion und das Wasser sowie die Wasserlandschaft eher als Medium denn als Gegenstand der Interpretation begreift.

Wir möchten die Bezüge zur Materialität des Wassers physisch und kognitiv erfahrbar machen, indem wir drei ausgewählte Orte an 1) Untersee (Insel Reichenau: Damm und Hochwart), 2) Seerhein (Konstanz-Stromeyersdorf: Bleiche und Wasserturm) und 3) Obersee (Übergang vom Konstanzer Trichter in den Seerhein an alter Rheinbrücke und strömungsreichem Stadtgraben an Dominikanerinsel [Gründungsort der Universität]) aufsuchen. Diese drei Orte ermöglichen, Beziehungen zwischen Mensch, Land und Wasser auf direkte und eingängige Weise nachvollziehbar zu machen, was unserem Verständnis nach eine besondere Perspektive auf die Medialität von Wasser eröffnet, sofern man versucht, die sich aufdrängenden Eindrücke sprachlich oder visuell abzubilden. Darüber hinaus nähern sich die Teilnehmenden im Verlauf unserer geplanten Exkursion dem Wasser mit jeder Station mehr physisch an (Vogelperspektive von Hochwart der Insel Reichenau mit Blick auf das Schweizer und deutsche Seeufer, Seerheinufer von Stromeyersdorf und unmittelbare Eindrücke des Bodenseewasservolumens, wie es an der Konstanzer Rheinbrücke kanalisiert wird).

Die Teilnehmenden werden zur Äußerung eigener Reflexionen in Form von kurz gehaltenen künstlerischen und/oder wissenschaftlichen Impulsen angeregt, die schriftlich oder mit Handykameras (Foto, Ton, Video) festgehalten werden sollen und z.B. die Form von multimodalen Feldtagebüchern oder einer „antropología corporal“ (Cortés Severino, 2019) annehmen können. Dieser Prozess wird durch aktivierende Übungen von der kolumbianischen Videokünstlerin und Anthropologin Elizabeth Gallón Droste künstlerisch begleitet, die die Äußerungen am Ende des Workshops für alle Teilnehmenden zusammenstellt und aufbereitet. Abschließend sollen die Reflexionen der beteiligten Literatur- und Kulturwissenschaftler*innen in Form einer wissenschaftlichen Publikation (Open-Access-Dossier) für die Fachgemeinschaft zugänglich gemacht werden. Dem an der Gesamtheit der Beiträge orientierte, künstlerisch ausgerichtete Kommentar von Gallón Droste wird in dieser Publikation ein gesonderter, aber integrierter Stellenwert zugewiesen. 

Das Lab bietet so einerseits Raum für Beiträge, die sich auf klassische Texte der europäischen Romania beziehen, die durch künstlerische Reflexionen und theoretische Impulse neu kontextualisiert werden können. Kurzvortragsthemen könnten sich beispielsweise auf die über das Konzil von Konstanz verfasste Erzählung „La belle Impéria“ (Balzac, 1833), die dt.-frz. Rheinromantik (etwa Hugo, Le Rhin. Lettres à un ami, 1842; ggf. Heine) oder aber die Erzähltraditionen zu anderen europäischen Strömen beziehen, wie etwa die zum Guadalquivir (García Lorca, „Baladilla de los tres ríos“, 1921) oder auch die filmische zum italienischen Po (Antonioni, Gente del Po, 1947) sowie zum Tejo in Lissabon (Tanner, La ville blanche, 1983). Auch an außereuropäische Flusserzählungen der Romania, insbesondere aus Lateinamerika, ist zu denken.

Denn andererseits schlägt das Lab auch den Bogen zu postmodernen und multimedialen Repräsentationsarten, die derzeit vor allem aus Lateinamerika, aber auch in europäischen Ausstellungsformaten bekannt werden. Wir nehmen so Tendenzen auf, die sich in den Bereichen der Performance-Kunst, Fotografie, medialen/immersiven Kunst sowie in der Videoinstallation vermehrt mit den globalen Auswirkungen des Anthropozäns auf aquatische Ökosysteme beschäftigen. Prominente Beispiele sind etwa die Arbeiten von Francisco Huichaqueo (Chile), Carolina Caycedo (Kolumbien) und Elizabeth Gallón Droste selbst („Duo~pes“, Kolumbien). Im europäischen Kontext zeugen Ausstellungen wie die von Jakob Kudsk Steensen („The Ephemeral Lake“, Hamburger Kunsthalle) und Nancy Holt („Circles of Light“, Martin-Gropius-Bau, Berlin) von künstlerischen Verhandlungen des Anthropozäns, die Ästhetiken eines ‚environmental storytelling‘ ausloten und durch virtuell-immersive Realitäten bzw. ortsspezifische Installationen vielstimmige Mensch-Umwelt-Szenarien entwerfen.

Zur Verknüpfung unseres Ansatzes mit dem tatsächlichen Wasserwandel am Bodensee und seinen anthropologischen Auswirkungen möchten wir zwei zeitliche Dimensionen berücksichtigen. So werden wir eine*n Stadtführer*in zur Erläuterung des historischen Wandels des Übergangs von See und Fluss engagieren und darüber hinaus die Expertise von Menschen integrieren, die professionell über die zukünftigen Entwicklungen des Lebens mit dem Wasser am Bodensee nachdenken (Bodensee-Stiftung). Grundsätzlich wollen wir auch interessierte Bürger*innen zum Dialog einladen, um Ansätze der ‚oral history‘ und ‚citizen science‘ umzusetzen, sofern unsere Gruppengröße dies erlaubt.

Der vorläufige Ablaufplan sieht vor, am Montag, 22.09.2025, zwischen 9.00 und 11.30 Uhr die Kunstwerkstatt Hochwart am höchsten Punkt der Insel Reichenau für die Produktion erster Wasserreflexionen und die Grenzlandschaft zu nutzen, um die erhöhte künstlerische Sensibilität untereinander teilen und im Folgenden auf die weiteren wissenschaftlichen Impulsvorträge (3-4) beziehen zu können. Ziel ist, die Verflechtungen zwischen Kunst und Wissenschaft fruchtbar zu machen. Für diese Station ist auch der erste Kommentar der Künstlerin Gallón Droste vorgesehen. Nach einer gemeinsamen Mittagspause (11.30-13.30 Uhr) an der mittleren, von Industrie- und Handwerksgeschichte geprägten Station in Konstanz-Stromeyersdorf sind weitere, thematisch passende 3-4 Kurzvorträge geplant. Die Aktivität an der Dominikanerinsel, ihrem Graben und der alten Rheinbrücke beginnt mit den Beiträgen der/des Stadtführer*in und ggf. der Bodensee-Stiftung (13.30-16.00 Uhr). Daraufhin gehen die Teilnehmenden ein zweites und letztes Mal in die künstlerische oder textuelle Produktion. Diese tagesaktuell erstellten Reflexionen über das Element Wasser sollen in einen zweiten Kommentar der Künstlerin münden.

Für die wissenschaftlichen Interventionen sind jeweils 10 Minuten eingeplant, plus 5-10 Minuten Diskussion/Austausch. Sprachen des Labs sind Deutsch, Spanisch, Französisch, Portugiesisch, Italienisch und Englisch. Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.

Bibliographie und Links zu ausgewählten künstlerischen Interventionen
Blackmore, Lisa/Gómez, Liliana. 2020. “Beyond the Blue. Notes on the Liquid Turn”, in: Liquid ecologies in Latin American and Caribbean Art. New York/London: Routledge, 1-10. 

Cortés Severino, Catalina. 2019. Hacia el giro corporal en la antropología visual: imágenes, sentidos y corporalidades en la Colombia contemporánea. Bogotá: Centro de Estudios Sociales, Universidad Nacional de Colombia.

Exposición “Pulsos del río Bogotá”. Una exposición de entre-ríos. Curaduría Lisa Blackmore. Viernes 14 de Junio de 2024. https://artedos.com (Letzter Aufruf 29.05.2024).

Gallón Droste, Elizabeth. 2022. “Embarcarse a navegar con el Atrato: Diario de campo multimodal”. https://entre-rios.net/atrato/ (Letzter Aufruf 26.05.2024).

Oppermann, Serpil. 2023. Blue Humanities. Storied Waterscapes in the Anthropocene. Cambridge: Cambridge University.